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Das farbige Banner der Pornografie (6)

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Der Bär flattert  in südwestlicher Richtung.
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Die englischsprachigen Rechte und die Weltrechte wurden im Verhältnis zwei Drittel für den Autor und ein Drittel für die Olympia Press verhandelt, die Filmrechte wollte Nabokov allerdings nicht abtreten. Maurice Girodias verzichtete leichten Herzens auf den entsprechenden Verlagsanteil, weil er es für ausgeschlossen hielt, dass im moralischen Klima der Zeit ein Film mit einem Pädophilen als Held möglich wäre. Das war ein teurer Irrtum, denn ›Lolita‹ kam bereits 1962 in die Kinos.

Lolita-Trailer von 1962:

Im gleichen Maße wie Nabokovs Ruhm und Reichtum zunahmen, distanzierte er sich von seinem Originalverleger. Er weigerte sich auch, Maurice Girodias in dessen Kampf gegen die französische Zensur zu unterstützen, denn ›Lolita‹ wurde in Frankreich verboten, obwohl das Buch inzwischen weltweit erschienen war. Schließlich setzte Vladimir Nabokov alles daran, den Verleger der Erstausgabe um seine vertraglich vereinbarten Anteile an den Weltrechten zu bringen. Es begann das gleiche Spiel wie bei Donleavy. Auch Nabokov litt darunter, dass seine ›Lolita‹ zuerst in einem Pornografieverlag erschienen war. Die Entscheidung seine ›Lolita‹ der Olympia Press gegeben zu haben, nannte er: »den größten Fehler meines Lebens!« Dabei war er anfangs hocherfreut gewesen, dass endlich ein Verlag sein Buch annahm. Kann man es Maurice Girodias verdenken, wenn er diese Haltung »krasse Undankbarkeit« nannte?

Vera Nabokov, die Frau des Schmetterlingsjägers, heckte schließlich einen diabolischen Plan aus, um dem Originalverleger die Rechte zu entwinden: Sie fand heraus, dass es im französischen Recht einen Paragraphen gibt, der dem Autor das Kündigungsrecht zubilligt, wenn der Verlag sein Buch nicht mehr vertreibt. Ähnliches sagt übrigens auch das deutsche Urheberrecht. Da nun ›Lolita‹ aus Gründen der Zensur seit drei Jahren in Frankreich nicht vertrieben werden durfte, schien ein Rückfall aller Rechte an den Autor ausgemachte Sache. Eine niederträchtige Konstruktion!

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Das farbige Banner der Pornografie (7)

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Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
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Damit nicht genug, Eva und Vladimir Nabokov versuchten es noch mit einem anderen Trick: Sie behaupteten, Maurice Girodias habe mindestens drei- bis viertausend ›Lolita‹-Exemplare in die USA ausgeführt, also mehr als die tausend abgerechneten Exemplare. Walter Minton, Nabokovs Agent, war entsetzt und beschwor Nabokov: »Erwähnen Sie dies um Gottes willen nie wieder! Denn wenn dieser Vorwurf sich bewahrheiten sollte, dann ist ihr ›Lolita‹-Copyright keinen Cent mehr wert!« Dazu muss man wissen: Ein US-Copyright-Paragraph bestimmt, dass – sollte ein Amerikaner mit Wohnsitz in den USA sein Buch im Ausland publizieren – er nur ein zeitlich begrenztes Copyright von fünf Jahren erwirbt. Diese Regelung dient zur Protektion der US-Druckindustrie. Im Gesetzestext ist zudem festgelegt, dass nicht mehr als tausendfünfhundert Exemplare dieser Veröffentlichung in die Staaten exportiert werden dürfen. Werden diese Vorschriften übertreten, verliert der Autor sein Copyright und sein Buch ist weltweit gemeinfrei.

Die Nabokovs hatten sich in ihren eigenen Fallstricken verfangen und mussten sich mit Girodias einigen. Um das Copyright an ›Lolita‹ zu sichern, sollte also so schnell wie möglich ein amerikanischer Verlag gefunden werden. Widerstrebend stimmte Nabokov zu, dass weltweit zehn Prozent des jeweiligen Verkaufspreises an ihn fallen und sieben Komma fünf Prozent an Girodias.

Dennoch blieb Nabokov bis zu seinem Tode tief beleidigt. Anlässlich des Erscheinens der französischen ›Lolita‹-Ausgabe bei Gallimard kam es 1959 zu einem absurden Treffen der beiden Kontrahenten. Der Verlag hatte zu einem Empfang für den inzwischen weltberühmten Autor geladen. Die Gallimard-Pressechefin schickte auch eine Einladung an Maurice Girodias, weil sie es empörend fand, dass der Verleger der Originalausgabe nicht eingeladen werden sollte – wie es die Verlagsleitung auf Wunsch der Nabokovs entschieden hatte. So begegneten sich die beiden Männer auf dem Empfang. Girodias stellte sich Nabokov vor, der übersah ihn, wandte sich ab und sagte später in nicht zu überbietender Arroganz zu Doussia Ergaz: »Ah, Girodias! War er anwesend? Das wusste ich nicht.« Danach lieferten sich die beiden seitenlange Dispute in der ›Evergreen Review‹ über solche und ähnliche Lappalien, wer, wann und wo wen gegrüßt oder nicht gegrüßt habe. Sie produzierten ein Puzzle von An- und Vorwürfen – immer in hohem Ton, der gegenseitige Hass saß tief. Das infantile Gerangel der beiden großen Männer war einfach nur läppisch.

Nicht läppisch waren die Säcke voll Geld, die Nabokov und Girodias mit den ›Lolita‹-Tantiemen scheffelten. Ich habe mal überschlagen, es müssen für Maurice etwa zwei Millionen Euro nach heutigem Geldwert gewesen sein, für Nabokov acht Millionen. Bei den Nabokovs reichte es für das Leben in einer Suite im Palace Hotel in Montreux. Hier, am Genfer See, residierte das Paar bis zum Tode von Vladimir Nabokov im Jahre 1977.

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Das farbige Banner der Pornografie (8)

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Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
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Mit seinem Anteil an den ›Lolita‹-Tantiemen erfüllte sich Maurice Girodias seinen Lebenstraum, nämlich sich selbst einen Ort zu erfinden, an dem er gern seine Abende verbringen würde. 1958 zog die Olympia Press von der rue de Nesle in ein vierstöckiges verrottetes Gebäude in der rue Saint-Séverin im Quartier Latin. Ein Heer von Handwerkern rückte an, das Olympia-Press-Büro belegte ein Stockwerk, im Parterre eröffnete Girodias ein Bistro, das er ›La Grande Séverine‹ taufte. Groß war das Lokal zunächst noch nicht, aber bald richtete der Verleger im Nachbargrundstück einen tatsächlich gigantischen gastronomischen Komplex ein, und im Laufe von fünf Jahren wechselten die Restaurants und Clubs. Dort spielten und traten auf: Memphis Slim, Hazel Scott, Kenny Clark, Chet Baker, Marpessa Dawn und Mae Mercer. Sogar die Beatles sollen aufgetreten sein, als sie noch eine unbekannte Gruppe waren, so erzählte es mir Maurice, keine Ahnung, ob es stimmt.

Der Restaurantkritiker Thomas Quinn Curtiss schrieb 1960 in der ›New York Herald Tribune‹: »Als die ›Grande Séverine‹ eröffnet wurde, gab es zunächst nur ein Bistro, aber schnell entwickelte sie sich zu einem bizarren Komplex. Heute gibt es dort sieben Fluchten auf zwei Stockwerken. Im Erdgeschoß eine Fin-de-siècle-Bar mit original Kachelfußboden um 1900, einen roten, chinesisch inspirierten Salon, ein blaues Zimmer, den ›Salon Cagliostro‹ mit auf Spiegel gemalten alten spanischen Tarotkarten, einen üppigen Wintergarten mit Vogelkäfigen im Rokokostil und im Kellergeschoß natürlich einen Nachtclub, eine Bar, ein weiteres Restaurant und den zentralen Raum mit großer Tanzfläche.«

Eine glorreiche Zeit, was jedoch den ökonomischen Erfolg des wahnwitzigen Etablissements angeht, so sah es damit düster aus. Denn Gastronomie- und Clubmanagement wollen gelernt sein. Die ›Grande Séverine‹ beschäftigte zu ihren Hoch-Zeiten über fünfzig Leute. Es gab kaum Kontrolle, die Künstler schwelgten in Kaviar und Jahrgangschampagner, das Personal machte, was es wollte, räuberte die Kassen und benahm sich arrogant, schließlich blieben die Gäste aus. Nur noch Girodias’ zahlreiche Gläubiger, die Lieferanten, Handwerker und Drucker feierten mit ihren Freunden in der ›Grande Séverine‹, es ging ja alles aufs Haus, weil Girodias ihnen Geld schuldete.

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Das farbige Banner der Pornografie (9)

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Es ist neblig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Nach nur fünf Jahren hatte der Verleger seinen Anteil der ›Lolita‹-Millionen verblasen. Im Jahr 1963, nach einer Theater-Adaption von de Sades ›La Philosophie dans le Boudoir‹, machte die Brigade Mondaine den Laden dicht, die ›Grande Séverine‹ war bankrott. Schlimmer noch: Gegen die Olympia Press wurde ein staatliches Publikationsverbot in Frankreich verkündet. Diesen Absturz ins Nichts kommentierte Maurice Girodias später im ›New Olympia Readers‹: »›La Grande Séverine‹ verzehrte meine Energien, meine Zeit, meine Kreativität. Sie war eine fatale Geliebte, die mich von meinen Aufgaben als Verleger abhielt. Statt ein großsprecherischer und katastrophaler Nachtclubbesitzer zu werden, hätte ich aus der hässlichen politikverseuchten Pariser Szene flüchten sollen und mich zu meinen Autoren und Büchern nach Amerika verfügen müssen. Es war so klar, so evident. Welch schreckliche Blindheit!«

 

Seine Einsicht kam zu spät. 1965 ging Girodias als gescheiterter Verleger nach New York, lebte in einem kleinen Zimmer im Chelsea Hotel und schlug sich mit der Herausgabe des ›New Olympia Readers‹ durch, der bei Grove Press erschien. Erst zwei Jahre später gründete er die Olympia Press New York, welche in einem Appartement am Gramercy Park residierte. Alle seine bedeutenden Autoren kamen inzwischen in großen amerikanischen Verlagen heraus, Girodias hatte keine Rechte mehr daran. So waren auch die Verlagsrechte von ›Lolita‹ 1964 zurückgefallen, weil Girodias die Honorare an Nabokov nicht mehr zahlen konnte. Die Pariser Olympia Press musste nach dem Publikationsverbot Konkurs anmelden und stand zum Verkauf. Also durfte Girodias deren noch existierende Rechte nicht mehr auswerten – was er von Fall zu Fall übrigens trotzdem tat. Er gab in den USA ein paar alte Pariser Porno-Taschenbücher heraus, akquirierte auch einige neue Autoren, darunter war Valerie Solanas mit ihrem ›SCUM-Manifest‹. Girodias hatte sie im Chelsea Hotel kennen gelernt, wo auch Valerie eine Weile wohnte. Maurice Pornoproduktion in den USA war eine Pleite, denn Lancer und die West Coast Piraten, Brandon House, Marvin Miller und Greenleaf hatten den US-Pornomarkt längst übernommen.

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Das farbige Banner der Pornografie (10)

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Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
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Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Für Maurice Girodias war das Rettende ein gewisser Jörg Schröder in Germany, der sich in den Kopf gesetzt hatte, in Deutschland pornografische Bücher auf den Markt zu bringen, trotz der geltenden Zensurgesetze. Ich kaschierte dieses waghalsige Projekt mit der literarischen Fama der berühmten alten Olympia Press, hier waren schließlich so große Autoren wie Samuel Beckett, Henry Miller und Vladimir Nabokov erschienen. Die nannte ich in meinem Werbetext und entwarf eine große Wimmelanzeige mit der Headline ›Das farbige Banner der Pornografie‹. Die Anzeige im ›Spiegel‹ verursachte einen riesigen Wirbel. Wie sich dieses Making of Pornography abspielte, wie meine Partnerschaft mit Maurice endete, haben wir in den zurückliegenden Folgen von ›Schröder erzählt‹ veröffentlicht. Jedoch ein wichtiges Glied in der Lebens- und Verlegergeschichte dieses Mannes fehlte bisher. Darüber hatte Girodias zu meiner Zeit nie etwas verlauten lassen, mit gutem Grund.

 

Sein Appetit auf immer neues Geld war unstillbar, ich hatte dies lange seinem aufwendigen Lebensstil zugerechnet, seinen ständigen Reisen in alle Welt mit dem Ziel, ein gigantisches Pornoimperium zu gründen, und den Aufenthalten in den entsprechenden Grand Hotels. Erst nachdem ich ›Venus Bound. The Erotic Voyage of the Olympia Press and its Writers‹ von John de St. Jorres gelesen hatte, wusste ich mehr. Die deutsche Olympia Press war nämlich Girodias’ einzige große Einnahmequelle, und er hatte nicht aufgehört, von James Patrick Donleavy seinen Anteil an den Weltrechten von ›The Ginger Man‹ einzuklagen.

Mein schönes Geld floss in diesen höchst abenteuerlichen, wenn auch nicht ganz aussichtslosen Prozess. James Patrick Donleavy lebte inzwischen auf großem Fuß in Dublin, besaß eine prunkvolle Villa mit fünfzehn Zimmern und Swimming Pool. Maurice forderte von ihm die Hälfte der Tantiemen der letzten acht Jahre plus Zinsen, er hatte die fixe Idee, dieses Vermögen würde alle seine finanziellen Probleme lösen. In erster Instanz hatte ein Pariser Gericht ihm tatsächlich Recht gegeben, natürlich legte Donleavys Anwalt Berufung ein. Girodias blieb siegessicher, doch um seine Ansprüche in der Revision durchsetzen zu können, musste er die bankrotte Pariser Olympia Press wieder in seinen Besitz bringen. Er bestach den Konkursverwalter – dies gibt er in seinen Memoiren unumwunden zu –, Stillschweigen zu bewahren, wenn die Olympia Press versteigert werden soll. Girodias wollte der einzige Bieter bleiben.

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Das farbige Banner der Pornografie (11)

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Der Bär flattert  in östlicher Richtung.
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Jedoch, großes Dilemma! Sein Gegner Donleavy erfuhr während eines Telefonats mit seinem Pariser Anwalt ganz beiläufig: »Oh, übrigens, die Olympia Press wird übermorgen versteigert.« Mary Wilson, eine junge amerikanische Schauspielerin, die Donleavy später heiratete, erklärte sich sofort bereit, nach Paris zu fliegen. In ihrer Handtasche hatte sie fünfzehntausend Dollar, damals ein Vermögen, das ist so, als ob du heute mit siebzigtausend Euro in bar herumreist. Zusammen mit einer Freundin, die Französisch sprach und mit Hilfe eines auf Versteigerungen spezialisierten Anwalts gelang den beiden Frauen das Paradestück, innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine Sondergenehmigung zu erwirken, denn Ausländer durften im Prinzip an Versteigerungen französischer Bankrottfirmen nicht teilnehmen.

Am nächsten Tag erschienen die beiden Ladies mit Maître Jules Paul Plez, einem unscheinbaren kleinen Anwalt, vor der Kammer für Handelssachen, wo in einem pompösen Saal die Versteigerungen abgehalten wurden. Mehrere bankrotte Firmen standen auf dem Terminplan, die Olympia Press wurde an zweiter Stelle aufgerufen. Der Auktionator saß hinter einem hohen Pult, auf dem drei Kerzen standen, die nicht brannten. Als der Auktionator die Olympia Press aufrief, machte Girodias sein Angebot, und Mary Wilsons kleiner Anwalt sagte: »Plus cent«, also hundert mehr. Jedes Mal, wenn Girodias höher bot, ertönte Maître Plez’ monotone Stimme: »Plus cent.« Als eine kleine Pause eintrat, zündete der Auktionator die erste Kerze an. Diese Auktionskerzen haben einen kurzen Docht. Wenn die erste erlischt, wird die zweite angezündet, dann die dritte. Nach einem Dutzend Geboten von Girodias kam hinter seinem Rücken immer wieder das monotone »Plus cent«. Die zweite Kerze begann zu flackern, der Auktionator zündete die dritte an, wenn die dritte Kerze erlischt, ist die Auktion beendet. Der letzte Bieter hat dann den Zuschlag. So weit kam es nicht, denn Girodias musste aufgeben, er hatte nur vierzigtausend Franc in der Tasche. »Plus cent«, sagte Maître Plez, damit ging die Olympia Press für vierzigtausendeinhundert Franc an Mary Wilson. So rettete sie ihrem späteren Mann die Hälfte seines Vermögens.

Zwanzig Jahre später – Mary war von Donleavy geschieden und hatte einen Erben aus der Guinness-Dynastie geheiratet – meinte sie: »Armer Girodias, er tat mir leid, wie er so verzweifelt aus dem Saal stürmte. Es war traurig, denn er war ein bedeutender Mann. Wenn er nur vernünftiger gewesen wäre! Lassen Sie es mich so sagen, ich bin kein nachtragender Gewinner.« Damit spielte sie auf ihren verflossenen Gatten an, der Girodias über dessen Tod hinaus hasste, obwohl sein erster Verleger doch nach der Auktion der Olympia Press auch alle Ansprüche gegen ihn verloren hatte.

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BK / JS

Das farbige Banner der Pornografie (12)

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Der Bär flattert  in nordwestlicher Richtung.
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Jetzt muss aber endlich der Treppenwitz zu dieser Versteigerung gerissen werden: Die vierzigtausend Franc, welche Girodias bei sich trug, hatte ich ihm im April 1970 auf seinen dringenden Wunsch hin telegraphisch an seinen Schweizer Buchhalter M. Neuvecelle überwiesen, allerdings in Dollar. Und nachdem ich neulich von der Versteigerung erfahren hatte, war mir klar: Maurice Girodias hatte mich im Jahre 1969 über den Tisch gezogen. Denn seine Genfer Strohfirma mit dem merkwürdigen Namen Euratom SA hatte mir die Markenrechte an der bankrotten Olympia Press übertragen und darüber hinaus Autorenrechte, die er überhaupt nicht mehr besaß. Jedoch hassen, wie der irische Ginger Man, kann ich den hochberühmten Verleger deshalb nicht. Allerdings hätte ich damals besser die Olympia-Press-Markenrechte von Mary Wilson kaufen sollen.

Hélas Maurice! Nachdem ich mich aus der Olympia Press zurückgezogen hatte, versiegte abrupt der Geldstrom aus Deutschland. Danach versuchte Girodias vergeblich, deutsche Freunde zu kontaktieren, so auch den Verleger Ledig-Rowohlt. »Maurice«, meinte Ledig, »diese Leiche willst du mir doch nicht wirklich andrehen?!« 1973 musste Girodias auch für die Olympia Press New York Konkurs anmelden.

Eine Olympia Press Deutschland GmbH und Co. KG wurde von meinem ehemaligen März-Kommanditisten Peter Beitlich weitergeführt. Sein Laden hatte nichts mehr mit der legendären Olympia Press zu tun, die ich betrieben hatte. In seinem Broschürenverlag erschien durchgehend dumpfeste Porno-Reizware. Im Jahr 1991 waren bei  Beitlich, der seinen Namen via Heirat in Peter Fichter änderte, um seine seriöse Kunsthandlung nicht zu gefährden, bereits sage und schreibe 1.076 Olympia-Press-Taschenbücher herausgekommen.

Ende

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BK / JS

Am Wegesrand

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Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
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Ein Knie geht einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts!
Es ist kein Baum! Es ist kein Zelt!
Es ist ein Knie, sonst nichts.

Im Kriege ward einmal ein Mann
erschossen um und um.
Das Knie allein blieb unverletzt –
als wär’s ein Heiligtum.

Seitdem geht’s einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.
Es ist kein Baum, es ist kein Zelt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.
(Christian Morgenstern)

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CM / BK / JS


Im heißen Schatten des Islam

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Der Bär flattert in südlicher Richtung.
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Die Abenteuerin Isabelle Eberhardt ist eine der großen Außenseiterinnen der Literatur. Schon als Kind weigerte sie sich Mädchenkleider zu tragen, lernte Arabisch und durchstreifte später in Männerkleidern den Maghreb und die Sahara. Sie trat zum Islam über, lebte promiskuitiv bei den nordafrikanischen Beduinen und heiratete dann einen algerischen Leutnant der französischen Kolonialtruppen.

Über ihre Reisen schrieb sie Romane, Erzählungen, Reiseberichte und führte Tagebuch. Nach einem Wolkenbruch, der Isabelle Eberhardt in der Wüste überraschte, ertrank sie in den Fluten, die ihre Lehmhütte mitgerissen hatten.

Hans Christoph Buch schreibt über die ›Sandmeere‹ in seinem Vorwort zu ›Sandmeere‹: »Isabelle Eberhardt verwirklichte für sich die alte Forderung der russischen Narodniki: nicht über das Volk zu reden, sondern mit dem Volk. Dabei bleibt sie stets sich selber treu, ohne sich kompromißlerisch den herrschenden Vorurteilen anzupassen: »das Volk« ist für sie nicht die dumpfe Masse der biederen Bürger, sondern die von jenen methodisch diffamierten und kriminalisierten Randgruppen der Kolonialgesellschaft, Parias wie sie selbst: Sträflinge und Prostituierte, Legionäre und Spahis, Nomaden und Negersklaven. An der Stelle der Hoffnung auf revolutionäre Veränderung aber tritt bei Isabelle die fatalistische Hinnahme des Schicksals, wie sie der Koran lehrt, ein Skeptizismus, der um die Vergeblichkeit aller menschlichen Bemühungen weiß: soziales Mitleid mit den Opfern der Gesellschaft steht so unverbunden neben stoischem Gleichmut angesichts des kolonialen Elends, der als elitär oder gar rassistisch mißdeutet werden könnte; derartigen Mißverständnissen hat sich Isabelle schutzlos ausgeliefert. Indem sie das unwirtlichste Terrain der Erde, die Wüste, zum Schauplatz ihrer Selbstverwirklichung macht, erreicht sie ein übersteigertes Sendungsbewußtsein, das immer dann in melancholische Depressionen umschlägt, wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt: Triumphe, die die bürgerliche Gesellschaft, gegen die sie erkämpft wurden, nicht zur Kenntnis nimmt, sind keine.«

Eberhardt, Isabelle: ›Sandmeere‹. Sämtliche Werke in vier Bänden: ›Tagwerke‹, ›Im heißen Schatten des Islam‹, ›Notizen von Unterwegs‹, ›Vergessenssucher‹ und ›Islamische Blätter‹. Herausgegeben von Christian Bouqueret. Mit einem Vorwort von Hans Christoph Buch. Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Originaltitel der Ausgaben: ›Mes Journaliers‹, ›Dans l’ombre chaude de l’Islam‹, ›Notes de route‹, ›Au pays des sables‹, ›Pages d’Islam‹. Vier Leinenbände im Schuber, 1.368 Seiten. Schuberetiketten: Typografie von Jörg Schröder mit einem Foto von Isabelle Eberhardt. März Verlag, Berlin und Schlechtenwegen 1981


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(IE / BK / JS)

Zander mit Mandeln

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Der Bär flattert in südwestlicher Richtung.
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Wir lieben  Mandelsauce, sie ist ganz einfach zu machen: Gehackte Mandeln in Butter rösten,  etwas Knoblauch und Petersilie dazu geben – fertig. Die Sauce passt zu vielen Gerichten. Wir geben sie über den Spinat, Brokkoli oder Blumenkohl, servieren sie fast immer zu Fisch und manchmal auch zur Pasta. Alles schmeckt  mit Mandeln besser!
Schon Hildegard von Bingen wusste um die wohltuende Wirkung der Mandeln – etwa für die Nerven: »Wenn jemand das Gehirn leer geworden ist, soll er oft die Mandelkerne essen. Das füllt sein Gehirn wieder auf und gibt die rechte Gesichtsfarbe.« Fünf bis zehn Mandeln pro Tag waren ihre Empfehlung.

Heute weiß man, dass Mandeln die Vitamine E und B, Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Kupfer und Zink, wertvolle pflanzliche Proteine und Ballaststoffe enthalten. Epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass der regelmäßige Verzehr von Mandeln und Nüssen dazu beitragen kann, die Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. So kann der Genuss von 20 g Mandeln täglich das Risiko einer Herzkrankheit halbieren; außerdem sind sie für ihre cholesterinsenkende Wirkung bekannt. In einer jüngeren Studie wurde zudem nachgewiesen, dass der regelmäßige Verzehr von Mandeln den Blutdruck senken kann. Zusätzlich enthalten Mandeln einen erhöhten Anteil an Folsäure.

Mandeln gehören zu den nährreichsten und gesündesten Nüssen,  sie enthalten außerdem wichtige thermogene Proteine, unter anderem das Tryptophan. Diese Aminosäure ist ein Vorläufer des Neurotransmitters Serotonin, das für Entspannung sorgt und Stress-bedingten Heißhunger lindern kann. Es sind eben sehr viele Eigenschaften, die Mandeln zum Abnehmen so geeignet machen, wenn man dazu bereit ist zuckerreiche Snacks mit einer Hand voll Mandeln zu ersetzen.
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Zutaten für zwei Personen:
400 g Zanderfilets
Kartoffeln
Salat und Kräuter nach Belieben
Olivenöl
Balsamicoessig (wir verwenden hier meist einen griechischen Feigenessig)
Butter
gehackte Mandeln
1 oder 2 Knoblauchzehen
Salz, Pfeffer
etwas Sahne

Zubereitung:

Kartoffeln schälen und kochen.
Salat nach Belieben zubereiten.
Mandeln nach zwei Minuten im kochenden Wasser abgießen, mit kaltem Wasser abschrecken, die Haut abziehen und hacken.
In einer Pfanne die Mandeln mit Butter rösten, zum Schluss Knoblauch und etwas Sahne dazugeben und die Pfanne zur Seite stellen.
Zanderfilets waschen, trocken tupfen, in einer Pfanne mit Olivenöl und Butter die Filets auf der Hautseite 5 Minuten anbraten. Die Temperatur herunterschalten, etwas Sahne und Zitronensaft dazugeben, nach 2 Minuten den Fisch auf die Teller legen. Salzen und pfeffern, die Mandelsauce darüber geben und mit den Beilagen servieren.
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Da wir dieses Mal noch eine kleine Menge Pistazien hatten, haben wir diese zusammen mit den Mandeln geröstet.

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Henry Thomas: ›Fishin’ Blues‹:


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BK / JS

Unverschämt // Shameless

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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So heißt die Ausstellung des Schwulen Museums Berlin, die im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration entstand. Die Ausstellung über lesbische Frauen und schwule Männer in Hessen von 1945 bis 1985 befasst sich auch mit der Aufarbeitung der Schicksale der Opfer des ehemaligen § 175 StGB in Hessen.

Der Focus ist also auf Frankfurt und Hessen gerichtet, aber der gut gemachte Katalog der Wanderausstellung ist darüber hinaus auch eine kurze Geschichte des § 175 und der Familie als soziale Norm. Natürlich wird auch an die Opfer und Leiden von Lesben und Schwulen in der Nazi-Zeit erinnert , sie wurden in Konzentrationslager deportiert und mussten rosa Winkel tragen. An vielen wurden Zwangskastrationen und medizinische Versuche durchgeführt. Erst 2002 beschloss der Bundestag , die NS-Urteile gegen Homosexuelle überwiegend aufzuheben.

Die Seiten über Fritz Bauer, der als hessischer Generalstaatsanwalt nichts unversucht ließ, die geltende rigide Rechtsnorm abzumildern, oder über die hessische Juristin und SPD-Politikerin Elisabeth Selbert, der es maßgeblich zu verdanken ist, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Grundgesetz verankert wurden, schließen eine Lücke in der Gedächtniskultur der Bundesrepublik.

Der kleine Katalog erinnert auch an Hans Giese, der bereits 1950 das Institut für Sexualforschung gründete, sowie an Martin Dannecker, der Anfang der 1970er Jahre mit anderen die Aktionsgruppe Rote Zelle Schwul gründete und das Institut für Sexualwissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität mit prägte. Mit Reimut Reiche schrieb Dannecker das Standardwerk der schwulen Emanzipationsbewegung: ›Der gewöhnliche Homosexuelle. Eine soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der BRD‹, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1974.

Dannecker nahm bereits 1972 an der ersten Lesben- und Schwulendemonstration in Münster teil. Auch Günter Amendts ›Sexfront‹ wird im Katalog gezeigt, sowie natürlich die Gründung der Frankfurter Rote Zelle Schwul (Rotzschwul) und der feministische Aufbruch in Hessen mit dem notorischen Flugblatt des Frankfurter Weiberrats: »Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen« (auf Seite 43). Beschlossen wird der Katalog mit Beiträgen über Lesbenpower und einer Erinnerung an Anke Schäfer, die Protagonistin der Frauenliteraturszene.

Der Katalog zur Ausstellung kann auf den Seiten des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration heruntergeladen werden.

Auf Seite 28 wird das Cover von Amendts ›Sexfront‹ gezeigt und Jörg Schröder als Vorreiter der Gegenkultur gewürdigt.


Grafik: Vera Hofmann, mehr darüber auf ihrer Website.

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Die Ausstellung wurde im November 2017 im Hessischen Landtag in Wiesbaden eröffnet und anschließend im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden gezeigt. Sie ist als Wanderausstellung konzipiert und soll innerhalb Hessens – gerne auch an Orte außerhalb der städtischen Ballungszentren – reisen. Den Verleih der Ausstellung koordiniert das
Hessische Ministerium für Soziales und Integration, die auch Eigentümer der Ausstellung sind.
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Gesamtleitung // Project Management: Schwules Museum*; Birgit Bosold, Carina Klugbauer
Redaktion und Texte // Editing & texts: Birgit Bosold, Carina Klugbauer
Wissenschaftliche Mitarbeit // Research assistance: Dr. Kirsten Plötz, Marcus Velke
Lektorat // Copy-Editing: Heiner Schulze, Marie Frank, Brooke Nolan

Übersetzung // Translation: Noemi Y. Molitor
Szenografie / Grafik // Scenography / graphic design: Vera Hofmann, Johannes Büttner

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(BK / JS)

Spanische Fischsuppe

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Es schneit, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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»Die Suppe ist der angenehmste Gang beim Essen«, schrieb Louis P. De Gouy in seinem Buch ›The Soup Book‹, »sie strömt Ruhe aus und verbreitet Wohlbehagen. […] Nichts kommt einem Teller dampfender Suppe gleich, deren Duft die Nasenflügel erwartungsvoll beben lässt.« Ja, liebe Freundinnen und Freunde, und solch eine Suppe wollen wir Euch heute vorstellen.

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Zutaten für zwei Personen:
1 Kabeljaufilet in kleine Stücke geschnitten
250 g Packung Frutti di Mare (Natürlich kann man Garnelen, Miesmuscheln und Tintenfischstücke auch frisch kaufen, allerdings sind die Mengen in so einer Packung für zwei Personen perfekt.)
2 Gläser Fischfond (Wir sammeln die Fischabfälle im Tiefkühlfach bis genug zusammen sind und kochen dann die Brühe.)
Olivenöl
1 Zwiebel oder 2 Schalotten
2 oder 3 Knoblauchzehen
eine Messerspitze, besser zwei Messerspitzen Safran
Chili
Salz, Pfeffer
abgeriebene Zitronenschale oder Zitronensalz aus Kreta
1 Tasse gehackte Petersilie
2 bis 3 Lorbeerblätter
4 bis 6 reife Tomaten
spanischer Absinth

Die Zubereitung ist einfach:
Zwiebeln und Knoblauch fein hacken und in einer Pfanne mit Olivenöl glasig dünsten, gehackte Tomaten hinzufügen einkochen. Dann die Pfanne vom Feuer nehmen, eine Schöpfkelle Fischfond hinzugießen, Safran auflösen, Chili, Salz, Pfeffer, abgeriebene Zitronenschale oder -salz, gehackte Petersilie und Lorbeerblätter unterrühren.

Den Fischfond in einem Topf aufkochen, die Garnelen, Miesmuscheln, Tintenfisch- und Kabeljaustücke hinzugeben und fünf Minuten ziehen lassen. Danach den Inhalt der Tomatenpfanne unterrühren. Zum Schluss ein Schnapsglas spanischen Absinth hinzufügen. Spanien war übrigens eines der wenigen EU-Länder, die sich dem Absinth-Verbot nie anschlossen. Seit 1998 ist diese Spirituose in allen EU-Ländern wieder erlaubt. Das Glas Absinth gibt der Fischsuppe den Kick und lässt die Nasenflügel erwartungsvoll beben.

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Zur Fischsuppe essen wir geröstetes Brot und trinken einen spanischen Weißwein. Ein Chardonnay passt sehr gut zur Zarzuela.

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Während des Kochens hörten wir Ojos de Brujo mit ›Ventilador r-80‹:


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BK / JS

DIG. Neue Bewußtseinsmodelle

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.
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›DIG. Neue Bewußtseinsmodelle‹. Herausgegeben von Karin Reese. Mit Beiträgen von Lawrence I. und Paula Bloomberg, Norman O. Brown, Allen Ginsberg, Paul Goodman, William Hedgepeth, Abbie Hoffman, Ralph Keyes, George B. Leonhard, Ed McClanahan, Norman Mailer, Richard Louis Miller, Hugh Romney, Theodore Roszak, Jerry Rubin, Albin Wagner, Alan W.Watts, Tom Wolfe. Aus dem
Amerikanischen von Lorenz Böllinger, Herbert A. Graf, Max Looser, Bettina vom Rath, Karin Reese, Wulf Teichmann und J. K. Utz. Engl. Brosch., 260 Seiten. Umschlaggestaltung: Typografie von Jörg Schröder mit einem Foto aus Horizon. Fotograf unbekannt. März Verlag, Frankfurt a.M. 1970
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Aus dem Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Nation Woodstock:
Das Woodstock Festival
William Hedgepeth, Janis Joplin undd die neue Sprache
Norman Mailer, Der weiße Neger. Vorläufige Anmerkung zum Hipster
Ken Kesey und die Merry Pranksters
Tom Wolfe, Die gefrorene Jug Band
Abbie Hoffmann, Eine Revolution kann man nicht schmeißen
Ein Interview mit Allen Ginsberg
Abbie Hoffman, Woodstock Nation
Jerry Rubin, Yippie!
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Kosmo:
Norman O. Brown, Apokalypse
Alan W. Watts, Beat Zen, Square Zen und Zen
Tom Wolfe, Kosmo! Das Unausgesprochene
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Bewußtseinserweiterung:
Karin Reese, Body and Soul in Esalen
Theadore Roszak, Die Gestalttherapie bei Paul Goodman
Karin Reese, Synanon und seine Kommuniversität
L. und P. Bloomberg, R. L. Miller, Die Intensivgruppe – Eine Grunderfahrung
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Kommunen:
Karin Reese, Der Zug zur Kommune
Ed McClanahan, Ken Kesey in Oregon
Albin Wagner, Drop City
Hug Romney, Die Hog Farm
Paul Goodman, 1984
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Erziehung:
Ralph Keyes, Die Freien Universitäten
Karin Reese, Die Midpeninsula Free Universitäy
JoAnne Wallace, Was ist mit der Freien Universität los?
George B. Leonard, Eine Schule im Jahre 2001 n. Chr.
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Anhang:
Glossarium
Quellen

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Aus dem Kapitel ›Das Woodstock Festival. Sonderbericht der Herausgeber von Rolling Stone‹


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(BK / JS)

Keine Rendite mit der Miete

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Der Bär flattert  in östlicher Richtung.
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Heute (um 14 Uhr) findet am Potsdamer Platz eine Demonstration gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn statt.

Wie immer haben wir dazu eine Geschichte mit einem Hintergedanken erzählt. Denn all die Dichter und Denker, die in unserer Gegend lebten, waren Mieter: Walter Benjamin, Gottfried Benn, Eduard Bernstein, Rudolf Breitscheid, Inge Deutschkron, Albert Einstein, Gisèle Freud, Erich Fromm, Arno Holz, Erich Kästner, Siegfried Kracauer, Emanuel Lasker, Kurt Pinthus, Erwin Piscator, Marcel Reich-Ranicki, Frank Wedekind, Billy Wilder, Ursula Ziebarth und Carl Zuckmayer. Sie alle waren keine Wohnungsbesitzer.

Den Begriff »Eigentumswohnung« gibt es in Deutschland erst seit den späten  fünfziger Jahre. Nach 1945 waren viele Häuser zerstört und auch wegen des Flüchtlingsstroms aus dem Osten herrschte in der Bundesrepublik eine dramatische Wohnungsnot. Die Adenauer-Regierung suchte nach Lösungen, die Ideen des Hauseigentums und des genossenschaftlichen Wohnungsbaus waren Stützpfeiler von Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft. Zusätzlich wurde 1951 ein neues Wohneigentumsgesetz geschaffen. Doch, wie viele gut gemeinten Gesetze, öffnete gerade diese Novelle dem Turbokapitalismus bis heute Tür und Tor. Auch nachdem die Fehlentwicklung längst erkannt worden war, packte keine der politischen Parteien die Probleme bei den Wurzeln. Das Ergebnis liegt heute offen zutage: Spekulanten horten Wohnungen, während große Teile der Bevölkerung um ihr Zuhause bangen müssen. Die Mieten steigen dramatisch, die Entmietung grassiert. Es gibt in den Großstädten keine bezahlbaren Wohnungen auf dem freien Markt, Mieter werden massenweise in die öden Plattenbauten im Weichbild der Städte abgedrängt.

Wir hätten da einige Handreichungen zum Beispiel für die Linke. Es wäre doch ein zündendes Wahlkampfthema, ein novelliertes Gesetz zu fordern, welches die soziale Unsitte der Entmietungen von Eigentumswohnungen unterbindet. Etwa mittels stark erhöhter Immobiliensteuer, die es für Kapitalanleger uninteressant machen würde, Eigentumswohnungen zu erwerben, oder mittels einer Variante der Fenster- und Türsteuer, wie es sie einst in England, Frankreich und den Niederlanden gab, oder wie in Portugal, wo eine »schöne Aussicht« so hoch besteuert wird, dass diese für Spekulationen mit Wohnungen nicht taugt.

Zur aktuellen Lage in Deutschland ist zu sagen: In den letzten vier Jahren stiegen die Mieten durchschnittlich um fünfzehn Prozent und in den Ballungsräumen noch weit höher. In München beträgt die Neuvertragsmiete durchschnittlich 16,55 Euro pro Quadratmeter, es folgen Frankfurt, Stuttgart und an siebter Stelle steht Berlin mit 11,42 Euro. Die sogenannte »Wohnraumversorgungsquote« ist auf 90,4 Prozent gesunken. Das bedeutet: Für 100 Haushalte stehen nur etwas mehr als 90 Wohnungen zur Verfügung. Auf dem freien Markt sind deshalb »Geringverdiener« chancenlos. Und der Bedarf an Sozialwohnungen ist riesig, davon gibt es jedoch immer weniger. Täglich erliegen deshalb hunderte Familien in Deutschland dem stillen Terror des Immobilienkartells. Seit Jahren werden Menschen entwurzelt und sozial massakriert.

(2. Teil folgt)

BK / JS

Großdemonstration gegen den Mietenwahnsinn (2. Teil)

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Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
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Gestern fand am Potsdamer Platz eine Demonstration gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn statt. 15.000 Menschen folgten dem Aufruf eines Bündnisses, gegen Mietwucher und Spekulation.

Es gab in Deutschland in der Vergangenheit  andere erfolgreiche Beispiele, wir erinnern nur an die teilweise Rettung des Frankfurter Westends: Die Protestbewegung zwang die Stadt Frankfurt mit friedlichen und weniger friedlichen Mitteln, die letzten alten Bürgerhäuser im Westend aufzukaufen. Schließlich sanierte die Stadt Frankfurt die Häuser und vermietete Wohnungen an die Bewohner zu angemessenen Preisen. Zwar wurde das Deutsche-Bank-Hochhaus im Westend gebaut, zwei Wolkenkratzer jeweils 155 Meter hoch, aber dank der Proteste konnte Schlimmeres verhindert werden.

Die Zerstörung des Westends hatte im Laufe der späten sechziger Jahre dramatische Formen angenommen. Die Zahl der Wohnungen war allein im Jahr 1968 um mehr als viertausend zurückgegangen. Die Methoden zur Vertreibung der Mieter waren drastisch. Reparaturen wurden bewusst unterlassen, bereits entmietete Wohnungen mit weitgehend rechtlosen sogenannten Gastarbeitern überbelegt. Dies führte zur Verwahrlosung der Wohnhäuser, die sanitären Anlagen reichten nicht aus, Rattenplagen entstanden. Hauseigentümer machten ihre Wohnungen vorsätzlich unbewohnbar: Heizungen fielen aus, Rohre brachen und massiver Baulärm entnervte die Mieter. Wenn die Bewohner diesem Druck schließlich nachgaben und auszogen, wurden zahlreiche Altbauten abgerissen und durch Bürogebäude im Stile der Zeit ersetzt. Das Bild der Bockenheimer Landstraße änderte sich radikal, vom ehemaligen Boulevard blieb kaum etwas erhalten. In den Nebenstraßen erreichten Bauspekulation, Mietervertreibung und Abriss ungeahnte Ausmaße. Innerhalb von vier Jahren halbierte sich die Einwohnerzahl des Westends auf zwanzigtausend.

Als Folge dieser Zustände kam es im Herbst 1970 zu zahlreichen Hausbesetzungen, diese Ereignisse fielen zeitlich mit der Proteststimmung der Studentenbewegung zusammen und lösten eine Widerstandsbewegung aus, an der auch Til Schulz und Joschka Fischer, jeder auf seine Weise, Anteil hatten. Til Schulz, Friede seiner Asche, ist der Herausgeber von Willi Münzenbergs ›Propaganda als Waffe‹, das Buch erschien zwei Jahre später im März Verlag. Er wohnte als Student in einer Wohngemeinschaft mit Lothar Menne, dem späteren Verleger von Heyne, Ullstein, Hoffmann und Campe, und Joschka Fischer, dem späteren Außenminister, der heute in einer Villa in Grunewald residiert.

Diese drei Studenten hatten eine Wohnung im Grüneburgweg besetzt. Bei der Räumung der besetzten Häuser durch die Polizei kam es zu Straßenschlachten im Westend. Es folgten zahlreiche Auseinandersetzungen, die von beiden Seiten mit großer Härte geführt wurden. Diese Proteste erwirkten, dass die Stadtverordnetenversammlung eine Veränderungssperre erließ und einen Bebauungsplan erstellte. 1972 wurde dann die Hessische Verordnung gegen Wohnraumzweckentfremdung erlassen, damit war der Grundstücksspekulation im Westend ein Riegel vorgeschoben. 1974 wurden im Hessischen Denkmalschutzgesetz die Bürgerhäuser im Westend aufgenommen, somit waren zahlreiche denkmalschutzwürdige Häuser vor Abrissplänen geschützt. Anschließend verwaltete eine städtische Wohnheimgesellschaft etwa zehntausend Wohnungen, die man neuen Mietern und Hausbesetzern, die vorher schon eingezogen waren, überließ. Also alles in allem ein großer Erfolg!

Der Frankfurter Häuserkampf inspirierte Gerhard Zwerenz zu seinem Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹. Rainer Werner Fassbinder schrieb danach das missverständliche Theaterstück ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹. Zwerenz’ Buch erschienen im März Verlag, nachdem die Aufführung des ›Müll-Stücks‹ im Schauspiel Frankfurt von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und verhindert worden war. Wir wollten und konnten mit dieser Neuausgabe des Zwerenz-Romans belegen, dass Gerhard Zwerenz kein antisemitischer, sondern ein antikapitalistischer Autor war.

BK / JS


Haireinspaziert

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Der Bär flattert heute nicht.
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Ein Freund schickte uns dieses Foto mit der Bemerkung: »In Würzburg bin ich am Ostermontag an einem Friseur vorbeigekommen, bei dem ich an Eure Sammlung denken musste. Viel Spass mit der Lautmalerei!«

Friseursalon Haireinspaziert in Würzburg. Foto: MM

(MM / BK / JS)

Kopf-Kult und Konkurrenz

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.

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Ein in Freund schickte uns dieses Foto mit der Bemerkung: »Anbei noch ein (doppelter) Friseur, entweder Scherz vom gemeinsamen Inhaber, im einen Laden (ohne Termin) schnippeln nur die Lehrlinge, oder recht verstandener ›marktwirtschaftlicher‹ Kapitalismus.«

v.l.n.r.: Kopf-Kult und Konkurrenz in Erfurt. Foto: RS

(RS / BK / JS)

Was lange währt, wird manchmal gut

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
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Mit großer Freude haben wir die Empfehlung der Europäischen Kommission begrüßt, die Planzenschutzmittel mit Neonicotinoiden zu verbieten. Das Bienensterben wird also tatsächlich ein Ende nehmen.


Bienenstock von Maria Sibylla Merian

Eine seit dem 7. Jahrtausend vor Christi gewachsene Kultur schien  dem Untergang geweiht. Der Säugling Zeus in seiner kretischen Grotte wurde ernährt von der Ziege Amaltheia und der Biene Melissa – »Gleich dem dichten Schwarme des emsigen Bienengeschlechtes, / Welche sich immer erneuernd der Höhlung des Felsen entsummen, / Bald wie Beeren hangender Trauben zusammen sich häufen, / Bald auseinander fliegend die Blumen des Lenzes umschwärmen.«

Viel zu lange konnte der Chemiegigant Bayer CropScience die Bienen vernichten, damit die rücksichtslosen Chemiker und Manager im Jahr 600 Millionen Euro Umsatz machen konnten. Mit ihrem systematischen Insektizid wurde das Saatgut von Raps, Sonnenblumen und Mais weltweit gebeizt – bis auf ein paar Länder wie z. B. Frankreich, wo diese Präparate längst verboten waren.

Übrigens hatten sich die Chemiker  bereits eine Lösung ausgedacht, bei der die Honigbienen unnötig sind. Sie entwickelten chemische Hormone, diese gaukeln der Blüte vor, bestäubt worden zu sein. Diese »Jungfernfrüchtigkeit« erzeugt dann Früchte ohne Samen. Bei Melonen ist dies schon  gelungen, Versuche mit Tomaten, Birnen und Äpfeln laufen. Wer möchte solche Früchte essen?

 

Zeichnung von Maria Sibylla Merian
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Katinka Schröder hatte bereits im Juli 2008 die dramatischen Fakten recherchiert und kommentiert. Wer also nachvollziehen möchte, wie es endlich gelungen ist, die mächtige Lobby des Marktführers Bayer CropScience zu besiegen, empfehlen wir diese spannende Geschichte, die wie Science-Fiction klingt, aber Science-Faction ist. Den ausführlichen Blog mit dem Titel ›Die Blüten des Bösen‹, die Geschichte vom Sterben der Honigbienen findet man hier.

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KS / BK / JS

hairz & seele

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

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Ein in Freund schickte uns von einer Fahrradtour in Mecklenburg-Vorpommern dieses Foto:

hairz & seele in Neubrandenburg. Foto: WM

(WM / BK / JS)

Nacht über Russland

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.
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Wie jeder linke Buchhändler oder Verleger meiner Generation war ich vom Programm des Malik Verlags fasziniert, dem bedeutendsten sozialistischen Verlag der Weimarer Republik. Bei Malik erschienen Bücher von Ernst Bloch, Bertold Brecht, John Dos Passos, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Franz Jung, Wladimir Majakowski, Erich Mühsam, Upton Sinclair, um nur diese Autoren zu nennen aus einem Programm von 446 Titeln, die von 1916 bis 1947 in Deutschland und im Ausland erschienen.

Als ich dann Verleger war, also die Möglichkeit hatte, einige Autoren wieder zugänglich zu machen, habe ich das im März Verlag getan. Es blieb leider bei vier Büchern von Upton Sinclair und dem wunderbaren Erinnerungen der Attentäterin, Revolutionärin und großen Seele Wera Figner.
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Wera Figner: ›Freiheit oder Tod. Nacht über Russland‹. Lebenserinnerungen von
Wera Figner. Von der Verfasserin autorisierte und durchgesehene Übersetzung aus dem Russischen Teil I und Teil II deutsch von Lilly Hirschfeld, Teil III deutsch von Reinhold von Walter. Originaltitel: ›Zapecatlennyj trud‹. Pappbd. im Schuber, 584 Seiten mit 26 Fotos.
Einbandgestaltung: Jörg Schröder. März Verlag, Jossa 1978. Die erste Ausgabe erschien 1928 im Malik Verlag.

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Wera Figner im Alter von 32 Jahren; nach anderthalbjähriger Untersuchungshaft in der Peter-Paulsfestung, 1884.

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Wera Figner fasst im Vorwort zur deutschen Ausgabe ihr Leben kurz zusammen, deshalb haben wir uns entschlossen, diese Seiten zu bringen. Die Lebenserinnerungen sind in drei Teile geteilt: ›Freiheit oder Tod‹ , ›Zwanzig Jahre in Kasematten‹ und ›Nach Schlüsselburg‹.

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(WF / BK / JS)

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